Im Folgenden werden einige grundlegende Bereiche der Philosophie und Psychologie zum Thema Glück benannt und auf ihre Relevanz für die Erwachsenenbildung
untersucht.
Tugendglück
Die Ideenlehre des Glücks der Eudaimonia verweist auf das Glück des tugendhaften Lebens. Wer die Tugenden pflege wird ein glückliches Leben führen, da ihm, so die klassische griechische Philosophie, die Götter hold sein werden.
Neben den klassischen Tugenden wie Freundschaft, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, etc. haben sich die sogenannten Sekundärtugenden gesellst, zu denen etwa Fleiß, Pünktlichkeit, Ordnung, etc. zählen. Sie sind für ein schulisch-diszipliniertes Lernsystem hilfreich und werden dort etabliert: wer fleißig ist, wird gelobt und voraussichtlich auch mit guten Resultaten und Noten belohnt. Der Fleiß selber macht also nicht glücklich, zentral ist das Element der Anerkennung, welches sich wiederum daran misst, was die bestimmende Person als Erreichenswert benennt. Die Sekundärtugenden besitzen also eine starke Ambivalenz.
Die klassischen Tugenden stehen etwas „stabiler“ da, sind sie doch intuitiv als sinnvolle Regeln des sozialen Miteinander erkennbar. (Die Philosophie tut sich mit ihrer finalen Begründung jedoch schwer). Nehmen wir sie wie sie sind, so geben sie für das Thema Glück & Bildung einen nützlichen Bezugsrahmen, etwa was die Gestaltung der Lernsituation betrifft. Als Beispiele könnten gelten:
Die Frage der Gerechtigkeit betrifft ganz zentral die Bewertung von Leistungen, aber auch die Gestaltung von Angeboten je nach Fähigkeiten der Teilnehmenden. Schon kleine Dinge wie die Gestaltung des Raumes (Sitzordnung, etc.) können gerecht oder ungerecht sein.
Tugenden der Solidarität oder Freundschaft sprechen für ein wohlwollendes Miteinander und eine entsprechend gestaltete Lernatmosphäre.
Wir sehen in den Tugenden die Grundlage für viele ethische Konzepte der Gegenwart, welche auch das moderne Verständnis einer aufgeklärten Bildungsarbeit begründen. Etwa wenn wir mit Kant den Menschen nicht als nur Mittel, sondern immer auch als Zweck zu sehen. Das Humboltsche Bildungsideal des Menschen als ganzheitliches Wesen findet sich hier ebenso wieder. Besonders aber stehen wohl die Ideen der Reformpädagogik im Einklang mit der Idee, das das Glück der Menschen mit gelungener Bildung einhergeht – und sich auch im Prozess sozusagen gegenseitig bedingt.
Hedonismus
Die zweite Ideenlehre des Glücks, welche ebenso wie die Tugendlehre in der griechischen Antike ihren Ursprung findet, ist die des Hedonismus. Hierbei stehen die körperlich-sinnlichen Freuden im Mittelpunkt, das Vermeiden von Leid und das Streben nach Lust. Dieser Ansatz ist in der europäischen Kulturgeschichte etwas ins Hintertreffen geraten, da er zum einen atheistisch fundiert ist und zum anderen sich weniger gut mit Sekundärtugenden und Disziplinierungsstrukturen verbinden lässt, welche die Entwicklung unserer Gesellschaft stark geprägt haben.
Nicht zuletzt durch die Überwindung des Körper-Geist Dualismus erlangt die Idee des Hedonismus jedoch wieder zusehend Bedeutung – auch im Bildungsbereich. Das Wohlbefinden von Körper und Geist ist zu bedenken, wenn es um das Wohlbefinden der Menschen geht und ein glücklich-gelingendes Lernen geht. Gerade die Ansprache von verschiedenen Sinnen beim lernen hat die klassisch sehr kognitiv ausgerichteten Bildungsansätze aufgeweicht. Mit gutem Grund, denn zentral verbunden mit der Entwicklung des Menschen von Kindheit an steht die ganz natürliche Wißbegierde in Form der Freude (agapesis), die Menschen an Sinneswahrnehmungen haben. Dazu gehören die Freude an den fünf Sinnen: Lust des Hörens, des Schmeckens, des Fühlens, des Riechens und die Freude am Sehen.
Was heißt das für ein gelungenes Lernsetting? Es kann schon ganz banal darum gehen, ob die Stühle bequem sind oder nicht, aber viel mehr noch, ob es ein Lehren und Lernen mit möglichst vielen Sinnen möglich ist. Das sensorische Potential des Menschen ist auch fürs Lernen höchst relevant, wie Studien der Lernforschung zeigen. Dinge, die mittels körperlicher Erfahrung gelernt werden, sind meist besser gespeichert, da sie plastischer erlebt werden und daher anders verknüpft werden können. Ebenso ist das reine Erleben mit den Sinnen erfreulicher (auch hier sind Freude und Lernen wieder eng miteinander verbunden).
Nicht zuletzt geht es neben dem haptisch-sinnlichen aber auch ums emotional-sinnliche: wie kann Bildung auch die persönlichen Interessen der Teilnehmenden ansprechen und wie können die Teilnehmenden ihre Anliegen und Eindrücke entsprechend vielfältig ausdrücken. Dieser Aspekt ist umso wichtiger, je mehr es um Themen geht, die jenseits einer Kompetenzvermittlung liegen und eher im Sinne einer reflektierenden Bildungsarbeit, also etwa der gesellschaftspolitischen Bildung, verortet sind.
Psychologie des Glücks:
Flow, Stärken, Achtsamkeit
Zu den klassischen Ansichten der Philosophie haben sich in den letzten Jahrzehnten einige Erkenntnisse der Psychologie hinzu gesellt. Vor allem die positive Psychologie hat mittels empirischer Forschung dem normativen Verständnis der Philosophen viel Grundlage beigemischt, was Menschen sozusagen „wirklich“ glücklich sein lässt.
Eines der bekanntesten Konzepte ist das des Flow von Csikszentmihalyi, welches den Zustand der weitgehenden Versenkung in einer Tätigkeit beschreibt, welches die Menschen als Glückszustand empfinden. Dieser stellt sich meist dann ein, wenn eine gelungene Balance der Intensität gegeben ist, anspruchsvoll, aber nicht überfordernd.
Flow ist ein „offener Effekt“, er kann überall geschehen und sich bei verschiedensten Tätigkeiten einstellen, beim Klavierspielen ebenso wie beim Kampfeinsatz eines Soldaten. Es ist also ein Glück im Moment während des Moments, das zwar auf gesamte Glücksempfinden des Seins auswirkt, aber dennoch haben in Studien Menschen davon berichtet, dass sie zwar während einer Arbeit Glück empfunden haben, aber dennoch lieber etwas anderes getan hätten.
Entsprechend ist das Konzept des Flow auch für den Bildungsbereich sehr ambivalent zu betrachten. Eine reine Fokussierung auf das Versinken im Lernerlebnis muss keineswegs einem Gesamtglück zuträglich sein!
Als psychologisches Konzept verweist Flow zudem auf einen individuellen Rahmen. Jeder Mensch mag ein etwas anderes Pensum an Intensität und Tempo benötigen, um seinen/ihren eigenen Flow zu finden. Im Rahmen eines Bildungssettings ist dies keineswegs leicht zu realisieren.
Es braucht also eine Basis, die möglichst vielen TN erlaubt, ihr eigenes Tempo zu finden, ihre eigene Herausforderung. Dies bedeutet zweierlei: 1. ein flexibles Lernsetting mit einer Bandbreite an Anforderungen, bei der die TN individuell ihre Herausforderungen regulieren können. 2. Einen Rahmen der die Gruppe dennoch bindet. Hierfür ließe sich der Begriff der Dramaturgie verwenden. Einen Rahmen, der den Ablauf einer Seminareinheit oder einer gesamten Veranstaltung umfasst und die TN mitnimmt auf eine „Reise“. Nehmen wir den Begriff der „Dramaturgie“ aus dem Theater und übertragen ihn in die Bildung so gilt genau dies: auch wenn es vielleicht ganz unterschiedliche Aspekte und Details sind, die für die Teilnehmenden gerade interessant, schön oder unschön sind, eine jede Person in der Gruppe erlebt das Geschehen ganz anders, aber es fühlen sich alle verbunden im gemeinsamen Prozess des Geschehens.
An das Konzept der Tugenden anknüpfend hat Seligman sein Konzept der „Authentic Happiness“ angelehnt. Er geht davon aus, dass jeder Mensch über gewisse Grundstärken/Talente aus dem Set von Tugenden verfügt. Sein persönliches Glück zu finden, dass somit authentisch und tragfähig ist bedeutet daher, sich dieser Stärken bewusst zu sein und sie gewinnbringend einsetzen zu können. Ich erlebe mich somit weniger als dem Leben ausgeliefert, sondern besitze die Fähigkeit zur Handlung und Gestaltung, meine Selbstwirksamkeit ist bestätigt und – im idealen Falle – gewinnt sie durch jede Handlung auch an Erfahrung und Effektivität. Dies verweist damit auch auf die Idee der Selbstwirksamkeit als wichtiger Indikator für ein zufriedenes Leben. Ziel eines solchen Prozess ist das Gedeihen (Flourishing) des Menschen. Für den Bildungsbereich gilt auch dies auf zwei Ebenen: das Erlernte möge sich effektiv auf das eigene Leben auswirken, als konkrete Fertigkeit, die ich anwenden kann (etwa eine Sprache oder ein Handwerk) oder als Verständnis, welches mir als zunächst theoretisches Wissen hilft, im Muster von Erkennen-Bewerten-Handeln mein Leben (mein Umfeld, etc.) besser zu verstehen und entsprechend anders zu (inter)agieren.
Der Effekt des Zielerreichens sei noch zu nennen. Eine gute Didaktik bezieht sich meist auf diesen Effekt indem sie den Lerninhalt entsprechend portioniert. Wenn selbst gesetzte Ziele (oder fremd gesetzte, die aber akzeptiert werden) erreicht werden, stellt sich das Gefühl des Glücks ein. Entsprechend ist z.B. das Konzept der Meilensteine angelegt: Ziel in Sicht – Ziel erreicht – Freude. Dies kann Flow erzeugen und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, ob aber langfristig Zufriedenheit erzeugt wird, hängt dann doch von den Inhalten und der Art der Zielerreichung ab.
In Bezug auf eher hedonistische, also sinnliche Grundlagen, hat auch die Psychologie die positiven Effekte von Achtsamkeit untersucht. Hierbei geht es um eine Schärfung der Bewusstheit für Befindlichkeiten, Eindrücke, Momente. Also eine Verfeinerung und Reflexion des Spürens und Erlebens. Übungen zur Achtsamkeit reichen von kleinen Ruhepausen im Sitzen, Stehen, Gehen über besondere Körper- und Wahrnehmungsübungen, also keinesfalls nur die klassische Meditation im Sitzen. Es lässt sich auch mit Ansätzen eines kontemplativen Betrachtens, wie es der Philosophie nahe liegt verbinden, etwa wenn über etwas ein Gedicht geschrieben wird. Entsprechend lassen sich kleine Übungen zur Achtsamkeit leicht ins Bildungsgeschehen integrieren, als kleines Ruheritual zur Fokussierung am Anfang eines Tages, als besinnliche Pause in der Natur oder aber in Verbindung mit dem bestimmten Bildungsthema als achtsame Betrachtung eines besonderen Aspektes.
Achtsamkeit hat dabei ein kritisches Potential: wer bei den kleinen Übungen zu sich und seinen Sinnen kommt, mag vielleicht auch verspüren, dass eigentlich etwas missfällt, keine Freude bereitet oder keinen Sinn macht. Das ist nicht zu unterschätzen...somit ist Achtsamkeit nicht nur ein Glücksbringer, sondern auch ein Glückstest.
Dankbarkeit sei als letzter Aspekt in diesem Kapitel benannt. Seine Freude, Zufriedenheit, Anerkennung zu zeigen – ganz konkret gegenüber einer bestimmten Person als Dankbarkeit, ist ein enormer Glücksfaktor. Einfache Tätigkeiten, wie einen entsprechenden Brief schreiben an eine Person, der man seinen Dank gerne mal ausdrücken möchte, führt zu sehr emotionalen Momenten und einer Zunahme des gesamten Wohlbefindens. Hintergrund sind ein positiv-konstruktiver Umgang mit den eigenen Emotionen, sowie eine Stärkung der gemeinschaftlichen Bindung. Für die Bildungsarbeit verweist dies auf kleine Gesten der gegenseitigen Anerkennung, etwa im freundlich-höflichen Umgang miteinander, lädt aber auch zu spezifischen Übungen ein, in der die Teilnehmenden sich gegenseitig für etwas Dankbarkeit zeigen.
Kritisch anzumerken ist, dass einige Aspekte der Psychologie sich oftmals stark auf das individuelle Glück beziehen. Nicht selten agieren sie im Rahmen eines
gegebenen Modells, etwa des Wettbewerbs wie er in den modernen westlich-kapitalistischen Gesellschaften dominiert. Es geht darum erfolgreich zu sein, seine Stärken einzubringen und zu entwickeln.
Dies ist nicht ohne Probleme und Widersprüche, denn in einem Wettbewerbs-setting können nur einige zu den Gewinnern gehören. Beständiges Glück für die Mehrzahl der Akteure zu sichern ist rein
logisch kaum möglich und führt zu einem ewigen Wettstreit.
Soziologie
Eine zentrale Komponente aus der eher soziologisch geprägten Forschung zum guten Leben ist das Konzept der Anerkennung. Es beschreibt die Grundlage des Miteinander-seins, das sich in der Kommunikation manifestiert: Werde ich als Person wahrgenommen und anerkannt? Dies ist mehrfach relevant im Bildungsgeschehen.
Zum einen bezieht es sich auf die Grundfrage ob ich als Person oder nur als Lernender angesehen werde, also unabhängig von meinen Leistungen und Ergebnissen geachtet werde oder nur aufgrund meiner Leistungen? Und für die Rolle des Lehrenden ebenso: werde ich nur als Vermittler von Stoff gesehen oder als Person mit meinen verschiedenen Gesichtern, (dazu gehören auch Schwächen und Launen). Beides wird zentral durch die Leitungsperson gestaltet. Sie setzt durch bestimmte Akzente den Rahmen wie die TN sich selber wahrnehmen, einander wahrnehmen und auch wie die Leitung von den TN wahrgenommen wird. Hier findet sich ein Grundelement der Anerkennung, welches reziprok gilt: der Kursleiter sollte die TN nicht nur als Kursteilnehmende sehen, sondern als Menschen, aber auch umgekehrt geht es um Fehlbarkeiten und Menschlichkeiten.[1]
Als Grundlage für Anerkennung sei noch zu nennen, dass Menschen Sicherheit als Basis eines entspannten Miteinander suchen. Zu Wissen wo was ist und wo ich mich selber in der Gruppe positioniere, ist sehr relevant. Für ein glückliches Bildungserlebnis ist also ein verbindlicher Rahmen und verlässliche Absprachen relevant.
Ebenso zu nennen ist die Frage nach dem Sinn. Wenn auch nicht explizit, also in bewusster Reflektion des Erlebten, so wird doch fast jeder Mensch für sich eine unbewusste Prüfung vollziehen ob der Situation, in der er sich in einem Bildungssetting befindet:
- Ist das Ziel mir klar und verständlich und erreichbar?
- Spricht das Angebot, die Form mich auf verschiedenen Ebenen an?
- Kann ich teilhaben und meine Anliegen einbringen?
Diese Punkte befürworten eine transparente Struktur des Bildungsangebots: hinsichtlich des Inhaltes ebenso wie der Methodik und Didaktik. Es spricht für eine Möglichkeit zur aktiven Mitgestaltung des Lernsettings.
[1] Hier kann, mit Verweis auf die bekannte Typologie der Führungsstile, auf die Rolle des Leitenden eingegangen werden: a) Lehrer-Experte-Chef b) Freund-und-Helfer c) Vermittler und Ermöglicher, Facilitator